Willkommmen im Reich der Stillstandsdynamik
Sie kennen das vielleicht auch: Alle sind beschäftigt, die Kalender sind voll mit zweckfremden Meetings, es wird unermüdlich gearbeitet – und trotzdem hat man am Ende der Woche das Gefühl, nicht richtig vom Fleck gekommen zu sein. „Ich hätte doch mehr schaffen können“ sind Aussagen, die mir oft begegnen. Dieses Phänomen nenne ich die Stillstandsdynamik.
Der Versuch einer Analogie
Stellen Sie sich Ihr Unternehmen als ein großes Ruderboot vor. Anstatt dass alle im gleichen Takt in die gleiche Richtung rudern, paddeln einige nach links, einige nach rechts, und wieder einige versuchen, das Boot auf Kurs zu halten, andere wiederum schöpfen Wasser – das sind dann die ‚Task Forces‘ 🙂 . Alle strengen sich ungemein an, die Energie im System ist hoch, aber das Boot kommt nicht vom Fleck.
In verschiedene Richtungen gelenkte Handlungsenergien
Woher kommt das? Die Ursache liegt oft in der Trennung von Prozessen und dem eigentlichen Unternehmenszweck. Ablaufprozesse1 beschreiben den Optimal Zustand und wie man sich darin bewegt. Abläufe von Regelfällen nicht von Sonderfällen. Jede Abteilung optimiert sich selbst, verteidigt ihr Territorium und verfolgt eigene Ziele. Man grenzt sich auch gegenüber einer anderen Abteilung ab, ja nicht in fremden Gewässern fischen – Kostenstellen und Profit Centern sei dank. Die Handlungsenergie der Mitarbeitenden richtet sich nicht mehr auf ein gemeinsames Ziel aus, sondern wird darauf verschwendet, diesen Prozessen gerecht zu werden.
Oder sie zu umgehen: so entstehen über die Zeit Gepflogenheiten, die ein Eigenleben entwickeln. Gepflogenheiten sind mehr als Prozesse. Gepflogenheiten können als Teil der informellen oder nicht offiziell festgelegten Praktiken und Normen innerhalb einer Organisation betrachtet werden. Sie spielen eine wesentliche Rolle bei der Gestaltung der Unternehmenskultur und beeinflussen, wie Arbeit ausgeführt wird, wie sich Mitarbeitende untereinander und mit Vorgesetzten verhalten, und wie Entscheidungen getroffen werden. Gepflogenheiten sind damit die kultivierten Handlungen – die dann schädlich sind, wenn sie nicht dem Unternehmensziel und dem dahinter stehenden Zweck dienen.
Das Ergebnis: Frustration, Überlastung, Zynismus – der perfekte Nährboden für Widerstand – im Extremfall dann der burn out.
Der Ausweg: Energie durch gemeinsame Ziele bündeln
Um aus dieser Dynamik auszubrechen, müssen wir die Energie neu ausrichten – hin zu einem gemeinsamen Ziel. Dies gelingt durch eine klare, nachvollziehbare Kaskade, die Sinn stiftet:
- Der Unternehmenszweck (Purpose): Das große „Warum“. Er ist der Nordstern, der nicht erreicht, sondern als ständige Orientierung dient.
- Die Unternehmensziele: Gemessen in Ort, Zeit und Form. Hier wird messbar, wie wir uns auf den Zweck zubewegen.
- Die Produktvision & das Produktziel: Konkretisieren, welches Problem wir für unsere Kunden lösen und welches Ziel wir mit unserem Produkt als Nächstes erreichen wollen.
Diese Kaskade sorgt dafür, dass die „Siloegoismen“ aufgebrochen werden. Es geht darum, dem übergeordneten Produktziel zu dienen.
Im Umfeld von Siloegoismen werden Grabenkämpfe geführt
Scrum als Motor gegen den Stillstand
Und genau hier bietet ein Framework wie Scrum eine brillante, praktische Lösung, um diese Zielkaskade im Alltag zu verankern und die Stillstandsdynamik zu durchbrechen:
- Das Produktziel (Product Goal): Es ist der ultimative Silo-Brecher. Es gibt allen Teams, die an einem Produkt arbeiten, ein gemeinsames, mittelfristiges Ziel. Es beendet die Grabenkämpfe, weil plötzlich alle auf denselben Punkt am Horizont zusteuern.
- Das Sprint-Ziel (Sprint Goal): Es ist das kurzfristige Gegenmittel zur zerstreuten Energie. Für die Dauer eines Sprints gibt es nur eine oberste Priorität. Das Team fragt sich nicht mehr: „Welche Dinge (Backlog Items) sollen wir abarbeiten?“, sondern: „Was ist das wertvolle Ziel, das wir in den nächsten zwei Wochen gemeinsam erreichen wollen?“ Das Sprint-Ziel bündelt die gesamte Energie des Teams auf einen einzigen Punkt und macht Fortschritt sofort erlebbar und messbar.
- Und zwar im Daily: Das Daily ist nicht mehr ein Statusreport, sondern beantwortet die Frage: „Was kann heute getan werden, um das Sprintziel zu erreichen?“
Die Organisationsform ist nicht entscheidend
Die Organisationsform selbst ist dabei zweitrangig. Entscheidend ist der Wechsel in der Denkweise: Weg von Kontrolle und Misstrauen, die in starren Prozessen leben, hin zu Vertrauen und gemeinsamer Verantwortung, die durch ein gemeinsames Ziel entstehen. Und ein gemeinsames Verständnis darüber, wie dieses Ziel erreicht werden kann und die empirische Prozesssteuerung dabei unterstützt.
Dies ist der Kern einer agilen Transformation – das Boot in Bewegung zu setzen, mit allen, die im selben Takt in die gleiche Richtung rudern.
that’s why I love Scrum …. 🙂
- Ablauforientierte Prozesse stellen immer Tätigkeitsmandate aus
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