Ist das Meinung oder ist das Messung?
Wir beobachten Ereignisse, Situationen und Zustände durch unsere individuelle Perspektive, interpretieren und bewerten sie nach unseren Wertmaßstäben und nehmen diese als Grundlage einer Beurteilung (gut vs. schlecht, richtig vs. falsch, etc.). So bilden wir uns eine eigene Meinung.
Eine Meinung ist eine persönliche Überzeugung. Sie ist subjektiv und oft emotional aufgeladen. Ein Team, das auf der Ebene von Meinungen diskutiert, wird sich im Kreis drehen. Deine Meinung muss nicht meiner entsprechen und umgekehrt gilt das genauso. Was für eine Person in dieser Sicht als wichtig erscheint, mag für eine andere weniger relevant sein. Dementsprechend folgen beide unterschiedlich in dieser Sache. Diese Meinungsvielfalt kann die Unsicherheit erhöhen – ein Phänomen, das oft im Kontext von VUCA (Volatility, Uncertainty, Complexity, Ambiguity) diskutiert wird. Die multioptionale Welt schafft somit Unsicherheit in der Entscheidung darüber, welche der Optionen die richtige sein kann.
Der Ausweg besteht darin, Meinungen in Hypothesen umzuwandeln. Eine Hypothese ist mehr als eine Meinung; sie ist eine überprüfbare Annahme. Sie verlagert die Diskussion von „Wer hat Recht?“ zu „Wie können wir herausfinden, was richtig ist?“.
- Meinung: „Ich glaube, unsere Kunden brauchen einen Dark Mode.“
- Hypothese: „Wir glauben, dass die Einführung eines Dark Mode die Verweildauer unserer Nutzer in den Abendstunden um 15 % erhöhen wird, weil es die Augen schont.“
Gute Hypothesen entstehen nur aus der Meinungstoleranz im Dialog
Der Unterschied zwischen Meinung und Hypothese: die Hypothese ist spezifisch, messbar und kann widerlegt werden. Sie entsteht im Dialog und erfordert zwar Meinungstoleranz, zwingt uns aber, unser Denken zu schärfen und ein gemeinsames Verständnis davon zu entwickeln, was wir eigentlich erreichen wollen.
Von der Hypothese zur Messung: Der Weg zur Klarheit
Eine Hypothese allein reicht nicht. Sie ist nur eine Annahme, z.B. über über Marktbedingungen, Kundenvorlieben, Mitarbeiterverhalten oder die Wirksamkeit von Prozessen. Um sie zu überprüfen, brauchen wir Experimente und vor allem Messungen. Wir müssen einen Weg finden, die Realität zu beobachten und Daten zu sammeln, die unsere Hypothese bestätigen oder – was oft noch wertvoller ist – widerlegen. Für eine effektive Messung benötigen wir Vergleichswerte, die wir erhalten, indem wir einen Zustand über die Zeit hinweg beobachten und dokumentieren.
Hier bietet die agile Welt mit Ansätzen wie dem Evidence-Based Management (EBM)1) aus dem Scrum-Umfeld einen professionellen Rahmen. EBM hilft uns, den Fortschritt in Richtung strategischer Ziele messbar zu machen, indem wir den Wert, den wir liefern, kontinuierlich anhand von Daten überprüfen. Statt auf Intuition2) allein zu vertrauen, treffen wir Entscheidungen auf Basis von Fakten.
Die Falle der Messung: Wenn die Zahlen lügen
Doch Vorsicht. Sobald wir anfangen zu messen, lauert die nächste Gefahr: die Voreingenommenheit. Es gibt eine starke menschliche Tendenz, Daten so zu interpretieren, dass sie unsere ursprüngliche Meinung bestätigen. Man nennt dies den Erwartungswert oder Bestätigungsfehler. Der Leitsatz dazu lautet:
Man findet nur wonach man sucht und man sucht nur, was man gerne finden möchte
Ein Experiment darf niemals an einer Meinung scheitern, sondern nur an der Erfahrung – also an der Messung oder Beobachtung. Deshalb ist es wichtig, Hypothesen so zu formulieren, dass sie scheitern können. Der wahre Wert liegt nicht darin, Recht zu behalten, sondern darin, zu lernen. Daraus ergibt sich eine goldene Regel:
Mit Meinung darfst du Hypothesen aufstellen, aber nur mit Messung darfst du sie scheitern lassen
Wo Messung nicht alles ist: Die Grenzen der Zahlen
Bei aller Liebe zu Daten müssen wir anerkennen, dass es Bereiche gibt, in denen Messung an ihre Grenzen stößt. Wie der berühmte Satz sagt:
Nicht alles, was zählt, kann man messen, und nicht alles, was man messen kann, zählt.
Gerade in agilen Transformationen gibt es entscheidende Faktoren, die sich kaum in Zahlen fassen lassen:
- Kultureller Wandel & Vertrauen: Die Entwicklung von psychologischer Sicherheit lässt sich nicht in einem KPI abbilden.
- Motivation & Zufriedenheit: Umfragen können Indikatoren liefern, aber die Tiefe menschlicher Empfindungen bleibt oft qualitativ.
- Kreativität & Innovation: Der Funke einer neuen Idee ist nicht messbar.
In diesen Bereichen führt eine zu starke Fokussierung auf Zahlen dazu, dass wir das Wesentliche aus den Augen verlieren. Hier sind qualitative Einschätzungen, Erfahrungen und ja, auch Meinungen im Dialog, unerlässlich.
Der wahre Fortschritt entsteht also nicht durch die Abschaffung der Meinung, sondern durch einen intelligenten Tanz zwischen Meinung und Messung. Meinungen sind der Zündstoff für neue Ideen und Hypothesen. Messungen sind das objektive Feedback der Realität, das uns echtes Lernen ermöglicht.
1) https://www.scrum.org/resources/evidence-based-management
2) Prof. Peter Kruse über Komplexität https://www.youtube.com/watch?v=m3QqDOeSahU

