Das Rebellieren (r)evolutionieren

Störer oder Gestalter? Entdecken Sie die Psychologie hinter dem Widerstand, wie Sie die Energie von ‚Rebellen‘ in konstruktive Innovation verwandeln und mit ‚Love it, Change it or Leave it‘ Ihre eigene Rolle im Wandel finden.

Die Gesichter des Widerstands

Richten wir den Blick einmal auf die Menschen, deren Reaktion auf Veränderung besonders laut, sichtbar oder hartnäckig ist. Auf die, die wir oft als „Rebellen“ bezeichnen. Belassen wir es erst mal bei diesem Begriff, auch wenn er oft negativ konnotiert ist. Aber es sind gerade sie, die den Mut haben, Dinge infrage zu stellen, Muster aufzubrechen und neue Wege sichtbar zu machen. Manche nennen sie Organisationsrebellen, andere sprechen von provokativer Kompetenz wieder andere von Narren. Doch

Wer veränderte die Welt?

Es waren schon immer die, die nicht ins Schema passten. Die, die gegen den Strom schwammen und den Mut hatten, Bestehendes infrage zu stellen. Sie verändern auch Unternehmen – nicht allein, sondern im Zusammenspiel mit denen, die bereit sind, zuzuhören. Denn Veränderung entsteht nicht im Alleingang, sondern in der Begegnung. Die Rede ist von den konstruktiven Rebellen. Sie arbeiten nicht gegen das Unternehmen, sondern mit ihm, für eine bessere Zukunft.

Wenn Veränderung ansteht, tauchen oft zwei typische Reaktionsmuster auf, die wir als Rebellion wahrnehmen. Doch Rebellion hat viele Gesichter. Und um die konstruktiven Kräfte zu fördern, schauen wir einmal auf die verschiedenen Formen des Widerstandes, der uns täglich begegnet.

Die Prinzipienreiter (die „nicht gewollten Rebellen“)

Sie scheinen gegen alles zu sein – aus Prinzip. Es geht ihnen weniger um die Sache als um den Widerstand an sich. Oft fühlen sie sich übergangen und ohnmächtig. Ihre Rebellion ist ein Schrei nach Anerkennung und Beteiligung. Machtanspruch wächst immer aus der Ohnmacht. Sie sind die klassischen „Betroffenen“, die nie die Chance hatten, zu „Beteiligten“ zu werden. Sie mit reinen Fakten überzeugen zu wollen, scheitert, denn ihre Blockade ist emotional. Sie greifen einfache Erklärungen in einer komplexen Welt auf, weil diese sich angenehm klar und verständlich anhören. Hinterfragen? Zu anstrengend. Verantwortung übernehmen? Das sollen die „Anderen“ machen, dafür sind sie doch da. Und genau diese „Anderen“ profitieren von denen, die nicht selbst gestalten wollen. Es ist ein Kreislauf, der sich politisch, gesellschaftlich, unternehmerisch und privat wiederfindet.

Die Bewahrer (die „Bestands-Rebellen“)

Sie sind Hüter des Status quo. Ihre Argumente klingen vertraut: „Das haben wir schon immer so gemacht“, „Das funktioniert bei uns sowieso nicht“ oder „Dafür fehlt uns die Zeit“. Ihre Sprache ist oft von Negationen geprägt: nein, aber, nicht.
Doch ist das wirklich nur Ablehnung? Oft ist es ein Schutzmechanismus. Die Verhaltensökonomie zeigt, dass Menschen Verluste stärker fürchten, als sie Gewinne schätzen (Kahneman & Tversky). Die Bewahrer fürchten den Verlust von Sicherheit, Kontrolle und Kompetenz. Ihre Rebellion ist ein Symptom für eine tief sitzende Angst. Sie bleiben im Widerstand, so lange sie nicht die psychologische Sicherheit haben, aufgefangen zu werden, wenn ein Experiment scheitert.

Wie kann man diese Bestands-Rebellen in Bewegung bringen? Drei Möglichkeiten:

  • Psychologische Sicherheit schaffen (Edmondson, 1999): Menschen brauchen die Gewissheit, dass Fehler passieren dürfen, ohne dass sie negative Konsequenzen fürchten zu müssen. Nur wer sich sicher fühlt, wagt den Schritt aus der Deckung.
  • Den Status quo hinterfragen: Oft reicht es, gezielt zu fragen: „Was wäre, wenn das Gegenteil wahr wäre?“ oder „Was wäre die schlimmste Konsequenz einer kleinen Veränderung?“ Kleine, durchdachte Experimente können große Widerstände abbauen.
  • Vertrauen in kleine Schritte aufbauen (Prochaska & DiClemente): Die „Stages of Change“-Theorie zeigt, dass nachhaltige Veränderung nicht durch radikale Brückenabbrüche, sondern durch bewusste, kleine Schritte gelingt. Das heißt: nicht sofort alles auf den Kopf stellen, sondern erste Erfolgserlebnisse schaffen.

Nichts gegen Bestand, bewährtes soll bewahrt werden, aber nur solange, bis es durch etwas Besseres ersetzt wird. Es darf nicht solange an Lösungen festgehalten werden, bis sie zum Problem werden. Daher muss auch das Bewährte hinterfragt werden dürfen und mit agiler Haltung und agilen Methoden (#experimente) auf wertstiftende Verbesserung geprüft werden.

Oftmals ist der Leidensdruck für Veränderungen auf verschiedenen Ebenen des Unternehmens noch nicht hoch genug. D.h. die Ängste der Ungewissheit, des nicht kontrollierbaren Raumes, dominieren. Viele dieser Ängste sind berechtigt und werden leider immer noch nicht aktiv in Arbeitsabläufe integriert.

Die Gestalter (die „konstruktiven Rebellen“)

Ihr, die ihr Ideen habt. Ihr erkennt, hinterfragt. Ihr, die Möglichkeiten seht, wo andere Grenzen wahrnehmen. Ihr, die ihr vielleicht nicht die Lösungen kennt, aber bereit seid, Lösungen zu finden. Denn ihr seid nicht nur Verwalter, ihr seid Gestalter. Nicht nur Störer, sondern Ermöglicher. Es ist die Leidenschaft, die euch antreibt, nicht der Leidensdruck.

Die wahren Veränderer sind nicht Einzelkämpfer, sondern diejenigen, die Brücken bauen. Die in Unternehmen genauso wie in der Gesellschaft nicht nur gegen etwas kämpfen, sondern für etwas.

Der persönliche Scheideweg

Diese drei Typen sind nicht immer feste Etiketten, sondern Rollen, die wir je nach Situation einnehmen. Und genau darin liegt die Verbindung: Die ’nicht gewollten Rebellen‘, die ‚Bestands-Rebellen‘ und die ‚konstruktiven Rebellen‘ haben mehr gemeinsam, als es auf den ersten Blick scheint. Alle drei Gruppen eint ein Bedürfnis nach Orientierung und Sinn. Die Kunst liegt nicht darin, eine Seite gegen die andere auszuspielen, sondern in der Schaffung einer Kultur, die alle in den Dialog bringt.

Eine ent-scheidend-e Frage lautet daher:

Wo stehe ich?

Eine (R)evolution von Innen muss von Außen immer als konstruktiv und lösungsorientiert wahrgenommen werden. Damit das funktioniert, brauchen wir die Kollaborateure, anstelle der Saboteure. Veränderung entsteht dort, wo Rebellion und Verantwortung in Einklang gebracht wird.

Love it, change it or leave it

  • Love it: Du stehst voll und ganz hinter der aktuellen Arbeitsweise und der Ausrichtung des Unternehmens. Du bist ein Stabilisator und trägst die Kultur mit.
  • Change it: Du siehst Verbesserungspotenzial und bist bereit, dich aktiv als Gestalter einzubringen. Du übernimmst Verantwortung und versuchst, kollaborativ zur Weiterentwicklung beizutragen.
  • Leave it: Wenn du merkst, dass du weder hinter dem System stehen kannst (Love it) noch die Energie oder Möglichkeit hast, es zu verändern (Change it), ist die Konsequenz, zu gehen.

Relevant ist hierbei die Reihenfolge. Wenn du gehen möchtest, solltest du dich fairerweise vorher fragen, ob du alles versucht hast, Gestalter zu sein und kollaborativ zur Weiterentwicklung beigetragen zu haben.

Denn Arbeit kann und sollte Freude machen – nicht als Selbstzweck, sondern als gemeinsame Gestaltung einer sinnvollen Zukunft 1).

Das Umfeld entscheidet

Die Art und Weise, wie wir zusammenarbeiten, ist kein Zufallsprodukt. Sie wird geformt durch unsere Kultur und durch unser eigenes Verhalten. In einem Umfeld, das Lernen als Teil des Erfolgs versteht, entstehen Innovation und Fortschritt nicht durch Perfektion, sondern durch mutiges Ausprobieren, Lernen und Anpassen.

Doch wie schaffen wir ein solches Umfeld? Entscheidend sind wissenschaftlich fundierte Prinzipien, die in der Praxis bereits ihre Wirkung gezeigt haben:

  • Psychologische Sicherheit (Amy Edmondson): Menschen äußern ihre Ideen und Bedenken nur dann, wenn sie keine Angst vor negativen Konsequenzen haben. Ohne psychologische Sicherheit gibt es kein echtes Lernen.
  • Growth Mindset (Carol Dweck): Wer glaubt, dass Fähigkeiten und Wissen entwickelbar sind, geht anders mit Herausforderungen um – sie werden zum Wachstumstreiber.
  • Double Diamond (Design Thinking): Die bewusste Abfolge von divergentem und konvergentem Denken führt zu durchdachteren Lösungen.
  • Liberating Structures: Mikrostrukturen oder Arbeitsformen, die die Beteiligung und Kreativität in Gruppen jeder Größe fördern.
  • Cynefin-Framework (Dave Snowden): Komplexe Probleme brauchen andere Entscheidungswege als komplizierte oder chaotische Situationen. Das Bewusstsein darüber schafft Klarheit und bessere Handlungsfähigkeit. Erkenntnis ist wertvoll – aber sie wird erst dann wirksam, wenn wir sie in die Praxis überführen.

In manchen Situationen sind wir nur betroffen, in anderen beteiligt. Doch am Ende ist es einfach. Wenn wir Menschen wie Rebellen behandeln, werden sie rebellieren. Wenn wir sie jedoch als Mitgestalter mit berechtigten Bedürfnissen und Ängsten anerkennen, haben wir die Chance, ihre immense Energie für eine gemeinsame, bessere Zukunft zu nutzen.

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1) https://www.gallup.com/de/472028/bericht-zum-engagement-index-deutschland.aspx