Ein Impuls über

  • Fehler
  • die Definition
  • die LernKultur

Die Fehlerkultur missverstanden

Häufig begegne ich der Aussage: „Wir wollen Fehler machen – das ist unsere Fehlerkultur!“ Doch diese Sichtweise ist in sich fehlerhaft. Fehler als bewusste Entscheidung zu betrachten, verkennt ihre Natur. Ein Fehler, der bewusst gemacht wird, ist keine Fehlhandlung mehr, sondern eine bewusste Wahl. Korrekterweise ist ein Fehler etwas, das ‚passiert‘, nicht etwas, das man ‚macht‘.

Streng genommen kann man also keine Fehler ‚machen‘, da dies implizieren würde, dass die Fehlentscheidung der Erkenntnis vorausgeht. Die Einsicht, dass etwas ein Fehler war, folgt jedoch immer erst nach der Handlung.

Eine provokante Gegenthese: Wäre der Mensch genetisch auf Fehler ausgerichtet, würden wir als Spezies vermutlich nicht mehr existieren.

Schluss mit klugscheißen. Was bedeutet nun Fehler! – Kultur! ?

Das Wort Fehler hat eine negative Konnotation. Fehlerkultur beschreibt, wie Gesellschaften, Kulturen und soziale Systeme mit Fehlern, Fehlerrisiken und deren Folgen umgehen1*).

Die wahre Kultur zeigt sich im Umgang mit Fehlern – vor, während und nachdem sie geschehen. Wir ermöglichen Entscheidungen, die sich als fehlerhaft erweisen könnten, ohne durch Angst zu demotivieren. Strafen erzeugen Angst, daher sollten fehlerhafte Entscheidungen entpersonalisiert diskutiert werden – es geht nicht um Schuld2*), sondern um Ursachen. Also kein du hast – kein wer hat Schuld, sondern was führte zu

Schlimm ist, Fehlentwicklungen nicht zu erkennen und einfach fortzufahren. In der Produktentwicklung sind es nicht die  offensichtlichen Produktfehler (nicht komplexer Raum), sondern die Fehlentwicklungen bei der Erstellung des Produktes (komplexer, unvorhergesehener Raum). Fehler müssen auch als solche erkannt werden. Also aus dem Unbewussten ins Bewusste gebracht werden und damit in die Wahrnehmung (#perceptioniseverything).

Das Umfeld beachten

Was geschieht jedoch, wenn ich einen handwerklichen Auftrag vergebe und das Ergebnis anders als erwartet ausfällt – wenn beispielsweise aus dem Kaltwasserhahn warmes Wasser fließt und umgekehrt? In solchen Fällen ist leider ein Fehler unterlaufen, da die abgelieferte Arbeit, also das Produkt, vermutlich nicht ausreichend getestet wurde. Dieser Fehler hätte vermieden werden können. Fehler dieser Art führen zu einem Vertrauensverlust. Der wesentliche Unterschied in diesem Kontext ist, dass wir uns hier nicht in einem komplexen Umfeld befinden.

Fehlerkultur – besser Lernkultur

Fehlerkultur bezeichnet den Umgang mit Fehlern. Lernkultur hingegen zielt darauf ab, aus Fehlern Erkenntnisse zu gewinnen und Maßnahmen zu ergreifen, um diese nicht zu wiederholen.

Im agilen Umfeld, in unserem Wirken und Erschaffen im komplexen Raum, ist der Ausdruck ‚fail fast and learn‘ (alternativ: fail early and adjust) geprägt. Dies bedeutet, schnell bzw. früh zu scheitern, daraus zu lernen (#lernkultur) und beim nächsten Mal besser zu agieren bzw. Parameter zu verändern.

In der Prognose (Vorhersage) kannst du kein richtig oder falsch einschätzen

In der Wissenschaft wird betont, dass das Experiment an der Erfahrung scheitern muss – dies bezieht sich auf das Prinzip der Falsifizierbarkeit3*). Im agilen Umfeld arbeiten wir ebenfalls evidenzbasiert. Wir gehen bewusst Experimente ein, stellen messbare Parameter für Erfolg und/oder Misserfolg auf und treffen auf dieser Basis Entscheidungen für nachfolgende Verbesserungen.

  • prepare
  • introduce
  • review

Eine positive Lernkultur fördert Innovationen (#abilitytoinnovate), da sie die Angst vor dem Scheitern eliminiert und somit der Kreativität durch Ausprobieren Raum gibt. Um Verbesserungen zu ermöglichen, muss die Bereitschaft zu lernen vorhanden sein. Daher sollten wir eine Lernkultur fördern!

Lernen und wachsen – gemeinsam als Team

 

DrumrumRaum
  1. Theorie des konstruktiven Scheiterns: Wissenschaftliche Forschung zeigt, dass konstruktives Scheitern – das Lernen aus Fehlern – zu tieferem Verständnis und Innovation führen kann. Dieses Konzept betont, dass Fehler als Gelegenheiten zum Lernen und zur Verbesserung gesehen werden sollten.
  2. Psychologische Sicherheit: Studien von Amy Edmondson und anderen zeigen, dass eine Kultur der psychologischen Sicherheit, in der Mitarbeiter sich frei fühlen, Ideen zu äußern und Fehler zuzugeben, entscheidend für das Lernen und die Innovation in Teams ist.
  3. Feedback-Schleifen: Die Bedeutung von regelmäßigen Feedback-Schleifen, um Lernprozesse zu unterstützen und kontinuierliche Verbesserungen zu ermöglichen, wird in der pädagogischen und organisatorischen Forschung hervorgehoben.
  4. Lernorientierte Führung: Führungskräfte spielen eine Schlüsselrolle bei der Förderung einer Lernkultur. Forschungsergebnisse legen nahe, dass Führungskräfte, die eine lernorientierte Haltung annehmen und Fehler als Lerngelegenheiten betrachten, die Innovationsfähigkeit und Anpassungsfähigkeit ihrer Teams steigern können.
  5. Die Kopfstandmethode, auch bekannt als „umgekehrtes Brainstorming“, ist eine Kreativitätstechnik, bei der Probleme oder Herausforderungen umgekehrt betrachtet werden. Statt direkt nach Lösungen zu suchen, konzentriert man sich darauf, Wege zu finden, wie ein Ziel oder Projekt scheitern könnte. Diese Methode fördert kreatives Denken und hilft, potenzielle Probleme und Fehlerquellen zu identifizieren.
    • Anwendung in der Lernkultur: In einer Lernumgebung kann die Kopfstandmethode dazu verwendet werden, Lernende dazu anzuregen, über mögliche Fehler und Hindernisse in ihrem Lernprozess nachzudenken. Indem sie aktiv Wege erkunden, wie sie scheitern könnten, können sie proaktiv Strategien entwickeln, um diese Fallstricke zu vermeiden. Dies fördert eine tiefere Auseinandersetzung mit dem Lernstoff und hilft, eine robustere und fehlertolerante Lernumgebung zu schaffen.
  6. Poka-Yoke ist ein japanisches Managementkonzept, das ursprünglich in der Toyota-Produktion entwickelt wurde. Es bezieht sich auf Techniken zur Fehlervermeidung, die darauf abzielen, einfache, aber effektive Mechanismen einzuführen, um menschliche Fehler in Prozessen zu verhindern. In einer Lernkultur kann Poka-Yoke als Metapher für Systeme und Prozesse dienen, die so gestaltet sind, dass sie Fehler verhindern, bevor sie auftreten.
    • Anwendung in der Lernkultur: Im Kontext der Lernkultur kann Poka-Yoke als Ansatz zur Entwicklung von Ausbildungs- und Arbeitsprozessen verstanden werden, die intuitiv und fehlertolerant sind. Dies bedeutet, Lernmaterialien und -umgebungen so zu gestalten, dass sie Missverständnisse und Fehler minimieren und gleichzeitig das Lernen und die Entdeckung fördern.

Kolumbus soll durch einen Navigationsfehler Amerika entdeckt haben – wobei ich eher denke, dass die eingeschlagene Richtung eine bewusste Entscheidung war – und damit kein Fehler, aber wir können ihn nicht mehr fragen 🙁

FußRaum

1*) https://de.wikipedia.org/wiki/Fehlerkultur

2*) Vielleicht kennst du noch die typischen ’save my ass‘ Emails, die im klassischen Projektmanagement geschrieben wurden. Der Verteiler wurde immer größer und schnell wurden haufenweise Nebenkriegsschauplätze (#fingerpointing) eröffnet….

3*) https://de.wikipedia.org/wiki/Falsifikationismus#Falsifizierbarkeit